Wer macht was - für wen und warum?

Neue Soziale Markt-, Staats- und Stiftungswirtschaft

Trends in der Arbeitsteilung im Gesellschaftsspiel des Guten

Ob private Schwarzfahrer-Versicherungen im öffentlichen Nahverkehr, die Rekommunalisierung von gerade privatisierten Stadtwerken, die Gebührensteigerung der Kindergärten bei gebührenfreien öffentlichen Hochschulen, ob generationsgerechte Klima- und Ressourcenprognosen, Mobilitäts- und Energiewenden und deren umstrittenen Großprojektfähigkeiten, demographisch induzierte Medizin- und Pflege-Veranwortlichkeiten, unheimlich anmutende Freiheits- und Sicherheitspolitiken, die steuernde Wirkung von Steuersystemen oder die darüber medial wie politisch kurzfristig aufblendenden Erregungs- und Empörungsgemeinschaften; irgendwas stört immer, irgendwas stimmt nicht mehr und über irgendwas streiten wir immer – und immer wieder um das Gute.

Streit und Spiel um das Gute

Der Soziologe Georg Simmel beschrieb den Streit als die Form der produktiven „Vergesellschaftung von Menschen“. Die in Wissenschaft wie Journalismus oft gestellte Frage der Selbstvergewisserung lautet: „In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich?“ Komplexität, Globalität, Digitalität sind die viel- wie gleichsam nichtssagenden Beschreibungschiffren. Die Fragen aber, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, was wir im aristotelischen Sinne als gutes Leben empfinden, und eben auch, wie wir das „Wir“, das Öffentliche und die öffentlichen Güter organisieren, sind die alten Fragen nach der Legitimität, der Produktivität und Innovativität für eben diese öffentlichen Güter und unsere Gemeinschaft.

Damit sind Gestaltungsfragen gestellt, deren Antworten nicht länger im alten Koordinatensystem der Sektoren – Staat und Markt und Zivilgesellschaft – zu funktionieren scheinen, nicht länger mit Referenzierungen an die schablonenartigen US-amerikanischen, europäischen oder asiatischen Wirtschaftsordnungen mit Schattierungen des Sozialen. Es braucht – einmal wieder – ein neues „Gesellschaftsspiel des Guten“.

Kluge oder eben auch wettbewerbsfähige Gesellschaften zeichnen sich – so unsere These – durch immer wieder anzupassende kooperative Konfliktbewältigungsspiele aus. Und: Wie in jedem guten Gesellschaftsspiel ist die gemeinsame Lust am Spiel selbst entscheidender als das Gewinnen des Einzelnen. Das wird kurz zur Kenntnis genommen, beim Aufräumen. Aber es wird vor allem darauf geschaut, ob man mit dem Gewinner nochmals spielen will. Damit sind die Fragen nach dem Guten und den Verantwortlichkeiten dafür gestellt, die Fragen nach den neuen Spielern, den neuen Spielregeln und den neuen Spielzügen.

Öffentliche Güter gegen Schlechts

Der Polit-Ökonom glaubt zu wissen, was ein öffentliches Gut ist: Es geht ihm dabei um Nicht-Rivalität und Nicht-Exklusivität im Konsum. Güter, von denen niemand ausgeschlossen werden darf und deren Konsum nicht zu Lasten des Konsums anderer geht. Die Legitimität der staatlichen Verantwortung entsteht genau aus der Vermutung, Unterstellung oder Regulierung, dass kein anderer Spieler diese Güter bereitstellen könnte, kurz: aus Marktversagen. Genau hier liegt die heute umstrittene These, da es eben eine politische und regulatorische Entscheidung ist, ob ein Gut öffentlich ist und ob Märkte funktionieren, wie Jesse Malkin und Aaron Wildavsky aus Berkeley darlegen.

Arbeitsteilung des Guten in der Historie

Die Geschichte der „public goods“ ist eine Geschichte der staatlichen Reaktion auf „public bads“. Beginnend mit der Schwarzen Pest in Europa im Jahr 1348 im Bereich der Gesundheit auf städtischer Ebene. Die Armenversorgung – mit Blick auf Hygiene, Quarantäne und ähnlichem – war im Interesse der Reichen, aber sie konnten das wahrhaft infektiös Schlechte nicht wie bisher selbst regeln. Der Sozialstaat entstand. Im 19. Jahrhundert verdreifachte sich die europäische Bevölkerung. Die negativen Externalitäten dieses Wachstums konnten nicht länger von Kirchen, karitativen Einrichtungen und reichen Bevölkerungsgruppen getragen werden und der europäische Siegeszug der Sozialstaatlichkeit mit Staatsquoten von mehr als 50 Prozent folgte.

Dann pendelgleich die nicht-staatliche Spiele: „Neue soziale Bewegungen“ der 1970er Jahre und ihre heutige Revitalisierung, die sozialmedialen oder strassenkämpferischen Protestbewegungen, die Erstarkung der Nicht-Regierungsorganisationen, die den totalitären bzw. Wohlfahrtsstaat korrigierende Anwaltschaft bzw. Verdienstleistung der Kirchen, die Bürgerbeteiligungen in Infrastruktur- oder Stadtentwicklungsprojekten, das Ehrenamt oder das Wohlfahrtsorganisatorische, das Sozialunternehmerische, das Sozialverantwortliche der Unternehmen, das Philanthropisch-Mäzenatische oder die neuen Formen der kommunalen bzw. urbanen kollaborativen Selbstversorgungsgemeinschaften bzw. die „Commoning-Initiativen“, also kollaborative Produktion und Konsumtion von Gemeingütern.

Arbeitsteilung des Guten in der Debatte

Nun kommen wir aus der Geübtheit der Arbeitsteilung einer Gesellschaft mit sektoralen Verantwortlichkeiten in eine Phase der Überdehnung der Anspruchshaltung an einzelne Spieler und deren Kritik. Ein schuldengebremst überdehnter Sozialstaat, ein ungebremst moralisierender Markt und ein ungebremst wachsender Wohlfahrtssektor mit einer in Deutschland noch unterdefinierten Zivilgesellschaftlichkeit zeigen die Transition in das neue Gesellschaftsspiel des Guten auf: Neue Akteure, Allianzen, Agenden und Arenen bzw. Agoren, in denen darüber gesprochen wird. Die sektoralen Perspektiven – Staat, Markt, Zivilgesellschaft – scheinen an die Grenzen zu kommen. Das Selbstgespräch – noch unklar moderiert und konstitutiert – unserer Gesellschaft mit sich läuft. Und das ist eine gute Nachricht, denn dies hat weniger mit ideologischen sozialromantischen Debatten der Vergangenheit und mehr mit ideenreichen sozialinnovatorischen Debatten über die Zukunft zu tun.

Trends des neuen Gesellschaftsspiels

Wir können aus der vergleichenden zivilgesellschaftlichen Forschung vier Trends beschreiben:

  1. Neue Sozialstaatlichkeit durch Selbstentlastung: In zunehmend mehr Ländern werden staatliche Sozial-Investitionsfonds eingerichtet, die durch Finanzierungen Sozialer Innovationen und Sozialunternehmen eine Selbstentlastung des Staates ermöglichen sollen.
  2. Neue Intersektoralität: Grosse Transformationsprojekte gehen nur noch zwischen Markt, Staat und Zivilgesellschaft. Die Energie- und Demographiewende werden Vorboten für dieses gemeinsame Spiel. Dies erfordert Mehrsprachigkeit der Akteure für die Sprachspiele und Spielzüge der jeweils anderen und vielleicht auch den Staat in einer neuen Moderationsrolle.
  3. Neue Hybridisierung: Wir können überraschende Kooperationen und Gemeinschaftsprojekte beobachten – ob Wohlfahrtsorganisationen mit NGO´s und Konzernen, Privat-Stiftungen mit dem Staat oder Entwicklungsorganisationen mit Konsumgüter-Herstellern.  
  4. Neue Spieler: Neben den von uns analysierten Sozialunternehmen sind in Deutschland - ob als Stiftungen oder Fonds – erstmals in der jüngeren Geschichte mehrgenerationelle Vermögensakkumulationen möglich – ohne Kriege und Inflation. Dadurch entsteht eine neue und unbekannte Dominanz von Unternehmer- und Mäzenatentum in dem Gesellschaftsspiel des Guten, in der Vermögen ungeahnte Veränderungen auszulösen vermag.

Prof. Dr. Stephan A. Jansen

Autoreninfo

Leiter des Center for Philanthropy & Civil Society (PhiCS) und Professor für Management, Innovation & Finanzierung an der Karlshochschule, Karlsruhe. Sein Standardwerk zu „Mergers & Acquisitions“ ist gerade in 6. Auflage bei Springer Gabler erschienen.

Zuerst erschienen in: Süddeutschen Zeitung, 15.07.2014