Frauen in Führungspositionen sind selten, so der mediale Tenor. Die erklärten Gründe dafür sind vielfältig und schlagen öffentlich immer wieder hohe Wellen. Auch weil ihnen oft ein Hauch überspitzter Emanzipation anhaftet: Gerne werden Männer und die von ihnen historisch geschaffenen Strukturen als Wurzel des Übels genannt. Dabei hat sich die Forschung zum Thema bisher vorrangig mit dem Können und dem Dürfen beschäftigt, aber wollen Frauen überhaupt Führungsverantwortung übernehmen?
Die Debatte um Frauen in Führungspositionen ist alles andere als neu. Besonders Industrie und Politik sind vom weiblichen Führungskräftemangel betroffen. Auch wenn die Quoten langsam steigen, sind wir noch weit entfernt von einer Ausgeglichenheit zwischen männlichen und weiblichen Führungskräften. In diesem Kontext erscheint die Entwicklung der „jungen, männlichen Bildungsverlierer“ in deutschen Oberstufen paradox: Seit Jahren schaffen vergleichsweise mehr Schülerinnen als Schüler das Abitur und sichern sich danach einen Studienplatz an der Universität; Tendenz steigend. Der weibliche Nachwuchs wäre also da, nur scheint er auf dem Weg zur Führungsposition auf der Strecke zu bleiben. Wie lässt sich diese Diskrepanz zwischen den Potentialen und dem tatsächlichen Einsatz von weiblichem Führungspersonal also erklären? Liegt es an den Organisationen oder an den Frauen selbst, an der Selektion oder an der Beförderung? Oder sind gesellschaftliche und familiäre Strukturen für den weiblichen Führungskräftemangel verantwortlich?
Die damit verbundene Forschung liefert verschiedenste Theorien und multifaktorielle Gründe: Von struktureller Frauen-Diskriminierung in Organisationen und Dis-kriminierung in der deutschen Sprache, über gesellschaftlich toleriertes Mobbing, bis hin zu fehlenden Führungseigenschaften von Frauen. So kann etwa anhand der Role Congruity Theory erklärt werden, warum Frauen und Führung vermeintlich nicht zueinander passen. Die Stereotype und Attribute, die man Frauen zuschreibt— wie etwa kollaborativ, fürsorglich oder emphatisch zu sein — passen nicht zum Idealbild von Führung. Dieses wird in vielen Köpfen noch immer mit einem ,rationalen‘, entscheidungsfreudigen und durchsetzungsfähigen Führungsstil assoziiert.
Und während die Wirtschaft entscheidet und die Wissenschaft erklärt, versucht die Politik Frauen mit Hilfe von diversen Maßnahmen wie Frauenquoten, betrieblicher Kinderbetreuung und flexiblen Arbeitszeiten durch die gläserne Decke zu heben. Die Diskussion ist jedoch müßig, wenn diejenigen, die gefördert werden sollen, sich gegen Führungsverantwortung entscheiden.
Ich darf, ich kann, aber will ich auch?
Nehmen wir an, Frauen können und dürfen führen, aber wollen sie auch Führungsverantwortung übernehmen? Im Rahmen einer aktuellen Studie zur Motivationsforschung des Leadership Excellence Institute Zeppelin (LEIZ) untersuchten Wissenschaftler der Zeppelin Universität in Friedrichshafen geschlechtsabhängige Unterschiede in Bezug auf Führungsmotivation. Von besonderem Interesse hierbei war, ob Frauen überhaupt Führungsverantwortung übernehmen wollen, denn schließlich sind die Fragen des Könnens und Dürfens immer wieder ausgeleuchtet worden.
Die Forschungslücke bezieht sich dabei auf eine Generation, die bereits von Emanzipation und Chancengleichheit der Geschlechter profitiert: die Generation Y. Denn der Generation Y ist hinsichtlich der motivationalen Fragestellung noch keine wissenschaftliche Aufmerksamkeit geschenkt worden. Und das, obwohl es um ein Phänomen geht, das viele junge, gut ausgebildete Frauen betrifft: Ich darf, ich kann, aber will ich überhaupt Führungsverantwortung übernehmen? Und wenn nicht, woher kommen die zurückhaltenden und verunsichernden Barrieren?
Die Generation Y unter der Lupe
Um dieser Frage nachzugehen musste zunächst einmal eine Generation unter die Lupe genommen werden, die zwar vielen ein Begriff, aber nicht klar definiert ist. Unterschiedliche Ansätze sehen verschiedene Rahmendaten über Beginn und Ende der Generation Y vor, vorwiegend wird allerdings die Kohorte der zwischen 1980 und 2000 Geborenen als Generation Y bezeichnet.
Im Rahmen der Studie wurde zunächst das Porträt eben dieser Generation gezeichnet, welches der Generation Y Werte wie Selbstverwirklichung, Sinnhaftigkeit und die Erfüllung persönlicher Interessen im Beruf zuschreibt. Wenn die Fähigkeiten der Generation Y im Job keine Anerkennung finden, so wird schlicht der Arbeitsplatz gewechselt oder es erfolgt eine Umorientierung– in vorigen Generationen undenkbar.
Gleichzeitig scheint diese Generation, die sich an beruflicher Flexibilität und vielfältigen Möglichkeiten erfreut, damit überfordert zu sein. Die Komplexität und Multioptionalität der Arbeitswelt führen dazu, dass eine Generation heranwächst, die Werte wie Sicherheit, Struktur und Stabilität im Privaten zu verwirklichen sucht.
Bei der Recherche zur Generation Y zeigte sich hierbei besonders auffällig, dass mögliche Geschlechtsunterschiede in bisherigen Studien keine Berücksichtigung finden - zumindest werden diese nicht explizit erwähnt und scheinen somit wie selbstverständlich als nicht vorhanden angenommen zu werden. Aber gibt es tatsächlich eine den Geist einer Generation abbildende, geschlechtsunabhängige Motivation nach Führungserfolg und Karriere, oder wollen Frauen im Gegensatz zu Männern einfach seltener Führungsverantwortung übernehmen?
Konflikten aus dem Weg gehen – Warum Frauen Führungsverantwortung weniger übernehmen wollen
Die Untersuchung von Führungsmotivation der Generation Y erfolgte vor allem vor dem Hintergrund des Interesses an möglichen geschlechtsabhängigen Unterschieden zwischen Mann und Frau. Auf den ersten Blick bestätigten die Ergebnisse der Studie den Trend der Generation Y und somit bisherige Generations-Darstellungen: Es konnten grundlegend keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen in ihrer Führungsmotivation gefunden werden.
Doch die genaue Analyse einzelner führungsrelevanter Motive brachte einen interessanten Aspekt hervor: Bei allen untersuchten Motiven zeigten Frauen eine signifikant ausgeprägtere Vermeidungskomponente als Männer. Konkret bedeutet dies, dass Frauen eher Angst vor Kontrollverlust haben, Misserfolg zu vermeiden versuchen und sich beispielsweise eher davor fürchten, von anderen abgelehnt zu werden — oder zu führen.
Hier ist ein wichtiger Hinweis auf bestimmte motivationale Hindernisse zu sehen, vor denen Frauen in Bezug auf ihre berufliche Karriere stehen. Schließlich macht es einen Unterschied, ob man ständig fürchtet zu versagen oder selbstbewusst an eine Aufgabe herantritt. Die Wurzeln der Frage des weiblichen Führungskräftemangels sind also scheinbar doch tiefer verankert, als zunächst angenommen.
Wo und wie kann man nun ansetzen, um den Ursprung dieser Vermeidungshaltung gegenüber Führungsverantwortung zu verstehen, welche Maßnahmen sind wirklich sinnvoll und wie lässt sich konstruktiv mit einer solchen Vermeidungshaltung umgehen?
Liebesgeschichte oder Welteroberung?
Die Suche nach dem Ursprung der Vermeidungshaltung gegenüber Führungsverantwortung führt zu unterschiedlichsten Quellen. Zum einen spielt die Tatsache, dass es einfach zu wenig weibliche Vorbilder gibt, eine tragende Rolle. Zum anderen fällt es schwer, sich nicht vom ‚think manager - think male!’- Stereotyp beeinflussen zu lassen, da dieses Bild medial getragen und der in der Praxis leider immer noch viel zu häufig bestehenden Erwartungshaltung gegenüber guter Führung entspricht.
Zudem ist gesellschaftliche Gleichberechtigung ein gradueller Prozess, der nicht von heute auf morgen stattfindet. Als ein möglicher Lösungsansatz für die heutigen komplexen Herausforderungen an Führung kann ein Führungs- und Kulturwandel hin zu inclusive leadership gesehen werden. Eine solche kann allerdings erst ab einem Frauenanteil von 30 Prozent auf allen Leitungsebenen wirksam werden - auch hierzu gibt es konkrete, empirische Forschung. Es geht aber nicht nur um das Erfüllen von Quoten, sondern generell um Bewusstwerdungs- und Entwicklungsprozesse, die junge Frauen für sich selber reflektieren müssen und die Begleitung dieser.
Hier sind die erforschten spezifischen Führungsmotive Wegweiser dabei, die richtigen Fokusse für wirkungsvolle Maßnahmen zu setzen. Diese sollten schon von Anfang an in Trainee-Programmen von Unternehmen mitberücksichtigt werden. Community-Bildungen für Austausch und Solidarisierung unter Peers sowie konkrete Unterstützung in Form von Coaching, stellen weitere effektive Maßnahme dar. Aber da zeigt sich schon das nächste Problem: Konkurrenz unter Frauen mit dem „She-or-me“ oder „Queen-Bee“- Syndrom. Auch hier sind Bewusstseins- und Entwicklungsprozesse notwendig, sonst wird der Status Quo bestehen bleiben.
Grundlegend kann das Thema als eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung gesehen werden, wobei eine Bewusstseinsveränderung in Bezug auf Führungs-Rollenbilder von Frau und Mann notwendig ist – denn diese werden beginnend mit frühkindlichen Erfahrungen über die ganze Entwicklungsphase bis hin ins junge Erwachsenenalter geprägt.
Bewusstseinsbildungen an Schulen und Universitäten sind deswegen von großer Bedeutsamkeit, um dann in Organisationen daran anschließen zu können. Nicht nur Erziehung und gesellschaftliche Rollenerwartungen sind relevant, sondern auch die Veränderung von Media und Entertainment für Kinder im Grundschulalter, da durch diese Stereotypenbildung stark begünstigt wird.
Beispielhaft ist hier das ‚Geena Davis Institute on Gender in Media’ zu nennen, das sich mit Veränderungen von Medien und Entertainment für Kinder unter elf Jahren auseinandersetzt, um Stereotypenbildung in dieser prägenden Phase zu verändern, wie in einem Kurzfilm [https://youtu.be/BumIt2pIRuw] zu sehen ist. Es ist wichtig bereits schon hier anzusetzen und an diesen Prägungen zu arbeiten.
Denn: Wenn das Ziel von Mädchenrollen eine Liebesgeschichte ist und das Ziel von Jungenrollen die Welt (und nebenbei die Mädchen) zu erobern, dann ist das ein effektiver Weg dort zu bleiben, wo wir sind.
Zweifel ist aller Weisheit Anfang
Die Ergebnisse der Forschung des LEIZ machen deutlich, dass auch in der Generation Y der Mangel an weiblichen Führungskräften nicht verändert werden kann, solange Frauen keine Führungsverantwortung übernehmen wollen. Die Frauen der Generation Y müssen sich erst ihres eigenen Zweifels bewusst werden, denn ohne das Bewusstwerden ist kein Umdenken möglich und ohne Zweifel – dem Auseinandersetzen mit der Vermeidungshaltung – kann die Pipeline mit mehr Frauen in Führungspositionen auch in Zukunft nicht gefüllt werden. Denn wie René Descartes schon wusste, ist Zweifel aller Weisheit Anfang.
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Die Motive von Führungsverantwortung verstehen
Das Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ als fachbereichübergreifendes Expertisezentrum ist eine Plattform für interdisziplinäre, interkulturelle und intersektorale Forschung, Lehre und Weiterbildung zu den Herausforderungen der Führungsexzellenz in einer globalisierten Welt. Das LEIZ leistet Beiträge unter anderem zu Governance Economics, zur Organisationstheorie, zu Business Ethics und zu Führungstheorien.
Um die hinter dem Wunsch, Führungsverantwortung übernehmen zu wollen stehenden Motive zu identifizieren, wurden im Rahmen der Studie als Beitrag zur Motivationsforschung am LEIZ mittels eines verdichteten Führungsmotivationskonstrukts, dem Condensed Leadership Motivation Model (CLMM) in Anlehnung an das Hamburger Führungsmotivationsinventar (Elprana, Felfe, Gatzka & Stiehl, 2012) für die Führungsforschung relevante Motive untersucht
Um die Psychologie des Führens wirklich verstehen zu können, ist vor allem ein Aspekt wichtig: Jedes Motiv kann aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet werden — die Wissenschaft nennt dies Annäherungs- und Vermeidungskomponente. Während erstere Beschreibung ausdrückt, ein Motiv aktiv erfüllen zu wollen, beschreibt letztere den Versuch, enttäuschende Ereignisse zu vermeiden.
Zudem ist innerhalb der Motivationsforschung eine Differenzierung in zwei unabhängige Motivationssysteme vorgesehen, wobei das implizite dem expliziten Motivationssystem gegenüber gestellt wird. Diese Unterscheidung bedingt, dass die Motivationssysteme koalieren oder auch in Widerspruch zueinander stehen können.
Untersucht wurden im Rahmen der Studie implizite und explizite führungsrelevante Motive. Implizite Motive beschreiben all jene affektbasierten und unbewussten Motive, welche oft schon in der frühen Kindheit erlernt und verinnerlicht werden. Explizite Motive hingegen sind bewusste Selbstzuschreibungen und entstehen in Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt.
Beim impliziten Basismotiv Macht, welches das Streben nach Einflussnahme und Gestaltung beschreibt, kann im Sinne der Annäherungs-und Vermeidungsunterscheidung beispielsweise in die Komponenten „Streben nach Einfluss“ und „Vermeidung von Kontrollverlust“ dif-ferenziert werden, das implizite Motiv Leistung kann in Streben nach Erfolg und die Vermeidung von Misserfolg sowie das implizite Anschlussmotiv in Streben nach Akzeptanz und die Vermeidung von Ablehnung unter-schieden werden. Beim expliziten Führungsmotiv wurde in das Streben nach- und eine Vermeidungshaltung gegenüber Führungsverantwortung unterschieden.
Mittels eines online gestützten Fragebogens wurden Studienteilnehmer zu einer Selbsteinschätzung in Bezug auf das Thema Führungsmotivation anhand von 42 Aussagen gebeten. Die aus der Umfrage resultierende Stichprobe setzt sich aus 226 zwischen 1980 und 1996 geborenen Teilnehmern zusammen. Insgesamt nahmen 93 (41,2%) Männer an der Studie teil sowie 133 (58,8%) Frauen, wobei jeweils jüngster Teilnehmer beziehungs-weise jüngste Teilnehmerin 1996 und ältester Teilnehmer sowie älteste Teilnehmerin 1980 geboren wurde.
Angelica Valentina Marte, Dr. rer. pol., MAS; Wissenschaftlerin am Leadership Excellence Institute LEIZ | Zeppelin Universität (ZU), Unternehmerin, systemischer Executive Coach (zsfb, SG zertifiziert). Studium Betriebswirtschaftslehre & Kulturmanagement, Promotion Privatuniversität Witten/Herdecke. Executive Director und langjährige Programmdirektorin der ZU Professional School. Seit über 15 Jahren tätig als Führungskräfteentwicklerin und Executive Coach; Lehr- und Forschungstätigkeit u.a. Zeppelin Universität, MIT Center for Collective Intelligence (MA), Karlshochschule, Universität Zürich. Aufsichtsratstätigkeit in US-start-up. Vorher sieben Jahre lang in verschiedenen globalen Marketing- und Führungsfunktionen bei Johnson & Johnson. Veröffentlichungen und Vorträge zu Leadership, Female Leadership, Diversity; Filmproduktionen über Seychellen und Marokko. Gründerin von "mim_more is more" - pioneering inclusive organizations mit Fokus auf gender-balanced leadership
Isabelle Ermer, M.A.; Doktorandin am Leadership Excellence Institute LEIZ | Zeppelin Universität (ZU), Netzwerkmanagerin Hochschulen Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGFP), Studium Psychologie (BSc.) und Communication and Cultural Management (M.A.) an der ZU
Alexandra Maria Pipos, M.A.; Studium der Internationalen Beziehungen (B.A.) an der Technischen Universität Dresden und Communication Management (M.A.) an der ZU.
CEO, Gründerin moimo AG, Dr. rer. pol., MAS; seit 1991 Managerin; ab 1996 selbständiger Coach, Führungskräfteentwicklerin, Wissenschaftlerin und Dozentin; Studium Betriebswirtschaftslehre & Kulturmanagement, Promotion Privatuniversität Witten/Herdecke.