Empathische Robotik und Ethik der Künstlichen Intelligenz

Stephan A. Jansen über das Potenzial und die unternehmerischen wie gesellschaftlichen Auswirkungen von künstlicher Intelligenz – und warum es dabei ein starkes ethisches Bewusstsein braucht. Ein Interview in der Zeitschrift HORIZONT.

Künstliche Intelligenzen sind in vielen Bereichen, beispielsweise Empfehlungsprogrammen (Netflix, Amazon etc), bereits im Einsatz. Welche gesellschaftlichen Entwicklungen stehen uns hinsichtlich künstlicher Intelligenzen noch bevor?

Eine große Frage für die menschliche Intelligenz. Genau so groß wie die Versprechungen aus den Marketing-Abteilungen der kleinen und der – ja auch beschäftigungsseitig immer noch kleinen – Groß-Konzerne der Technologie-Branchen. In den Bereichen der Gesundheit, der Finanzdienstleistungen, der Mobilität, der Sicherheit, der Energie- und Klimapolitik sind alle Versprechungen gemacht. Und wir wissen aus der Geschichte: Wer viel verspricht, verspricht sich auch mitunter.

Wir sind nun im dritten „Kalten Frühling“ der Künstlichen Intelligenz – nach den 1960er und 1980er Jahren. Nun hoffen nicht wenige auf den ersten Sommer – wie ich seit 1999 während meiner Forschungsaufenthalte an der Stanford University und im Silicon Valley immer lauter höre. Grund: IBM Watson und andere Hochleistungsrechner arbeiten hirngleicher – also neuronal vernetzt – und betreiben das, was sich Professoren wie ich immer von Studierenden gewünscht hatten: deep learning. Selbstlernende Systeme – von aber eben doch regelgebundenem Wissen. Auch wenn die Künstliche Intelligenz nun gegen Menschen im Schach, Go oder Poker beeindruckend sein mögen. Es sind regelgebundene Lernmuster. Also ich tippe eher gemässigt auf „heiter bis wolkiges Wetter“ als auf eine wirkliche neue Jahreszeit. Wir wollen ja auch den Winter nicht erleben...  

Unsere Gesellschaft wird sich naturgemäß weiterentwickeln und verändern. Wo sehen Sie Problematiken aber auch Möglichkeiten mit künstlichen Intelligenzen?

Wir werden es mit empathischen Robotern zu tun haben. Roboter, mit denen wir reden könnten und die unsere Stimmung lesen. Im Büro und Badezimmer, im Kundenzentrum und Kinderzimmer, der Küche, in dem, was wir einmal Auto nannten oder in der Altenpflege. Es könnte – so die Marketing-Abteilungen in ihren Gegenwarts-Science-Fiction-Narrative recht haben würden – ein entlastetes, assistiertes Leben geben. Verlockend in Zeiten, in denen auch kluge VWL-Professoren ihre Altersversorgung nicht verstehen.

Verstörend hingegen sind eher die Programmierungen dieser Algorithmen und deren Datenquellen-Zugänge. Hier wird etwas problematisierbar – durch gesellschaftswissenschaftlich geschulte InformatikerInnen und NGO´s: Die indirekte Normativität der Programmierung. Da brauchen wir nur zwei Tugenden der Aufklärung: Erstens Bildung – und zwar anders als regelgebundenes Wissen. Und zweitens Transparenz: So wird die Werbebranche noch stärker unter Druck geraten als bisher. Zur „Social Responsibility“ wird sich nun auch das Thema „Digitale Verantwortlichkeit“ gesellen. Dies gilt übrigens auch für den Staat selbst – wie wir in Wahlkämpfen erleben und in staatlichem Handeln noch erleben werden. Die Zivilgesellschaft – hier Stiftungen und NGO´s – haben ein noch nicht zu stark wahrgenommenes Aufgabenfeld der Relevanz.

In Zeiten der Digitalisierung verändert sich die Definition aber auch das Umfeld von Arbeit. Wie sieht für Sie die Arbeitswelt, aber auch der Arbeitnehmer von Morgen aus?

Wenn wir den Studien aus Oxford glauben würden, dann arbeiten in den USA „morgen“ in 47 Prozent der über 700 Berufsgruppen, wie wir sie kennen, keine Menschen mehr. So kann man sich auch ein wenig die nationalistische Arbeitsmarktpolitik eines Unternehmers, der US-Präsident wurde, erklären. Das Word Economic Forum und auch die OECD haben hier deutlich konservativer geschätzt. Dennoch: Der noch vor 20 Jahren stolze Bankberater, die Versicherungskauffrau, der Lastwagenfahrer (600.000 allein in den USA) oder die Buchhalterin sind tatsächlich hoch gefährdet. Regelgebundenes Wissen...

Wir beraten derzeit einerseits Automobil-Konzerne, die mit der arbeitsplatzvernichtenden Batterie-Technologie und „Autonomem Fahren“ die stärkste personalbezogene Transformation ihrer 125jährigen Geschichte durchleben werden, und andererseits die Caritas, die wiederum die wohl sichersten Jobs mit digitaler Unterstützung qualifizieren wird. Wer heute als HR-Vorstand nicht seine Hausaufgaben macht, kann morgen keine mehr vergeben. Hier wird eine Ethik der post-digitalen Personalentwicklung handlungs- und geschäftsbestimmend!

Auch die Werbe- und Kommunikationsindustrie ist bereits mit KI in Kontakt. Welche neuen Möglichkeiten können sich beispielsweise durch das „Internet der Dinge“ entwickeln?  

Die Kommunikationsbranchen – und hier reden wir mittlerweile ja sehr breit – sind als eine der ersten von der Digitalisierung im Geschäftsmodell betroffen gewesen. Nun stellt sich die Frage, ob nicht „Big Data“, sondern „Relevant Data“ für „Mikro-Öffentlichkeiten“ und Kundschaften mit kluger Kommunikation das nächste große Ding werden. Das „Internet der Dinge“ ist eine evolutionär wachsende Kommunikationsfähigkeit zwischen Dingen, also Geräten, Kleidung und – so die Hoffnung mancher – in unseren Körper eingearbeitete Nano-Computern. 

Die Möglichkeiten werden auf dem Venture-Capital-Markt, den Industrie-Forschungslaboratorien und mit scheinbar geringerem Einfluss auch von Hochschulen ausgelotet – und diese neuen cyber-physikalischen Welten sind noch nicht seriös bewertbar. Hier wird die vierte industrielle Revolution herbeigeredet –anders als bei den bisherigen Revolutionen, bevor sie tatsächlich eingetreten ist. Auch hier: Es wird im Bereich der Kunden- und Bürger-Daten ethische Debatten, denn anders als Facebook oder bei datensammelnd-spionierenden Kinderpuppen kann man sich in diesem Internet der Dinge nicht immer dagegen entscheiden – wenn man es überhaupt weiß.

Im Interview mit „der Presse“ erwähnen Sie, dass wir uns in der siebten internationalen Übernahmewelle hinsichtlich Unternehmens-Fusionen befinden. Welche Bedeutung/Auswirkung hat dies für österreichische Unternehmen und für die heimische Wirtschaft?

Die drei entscheidenden Fragen in dieser Phase der Digitalisierung von Geschäftsmodelle ist: Wer baut die Roboter, die die Roboter bauen? Wer macht aus Daten Geschäftsfelder? Wer schafft nationale Beschäftigungs-, Bildungs- und Sozialsysteme, die diese Transformation schaffen? Die Vermutung derzeit: Nur wenige deutsche und noch weniger österreichische Firmen. Und andere Länder haben nationale Pläne – ohne politisch-populistischen Nationalismus.

Reden wir über China: Sie haben derzeit 100 Roboterhersteller, von denen maximal die Hälfte überleben dürfte, aber in fünf Jahren mit Deutschland und Japan gleichziehen will. 2014 hat China dafür einen Fünfjahresplan „Roboter Revolution“ verabschiedet. Warum? Die Arbeitskosten-Vorteile schmelzen so dahin, wie in Saudi-Arabien die Vorteile der geologischen Landeslotterien „Öl“. Während China sich auf die Entwertung des globalen Arbeitskostenvorteils proaktiv einstellt, stellt sich Saudi-Arabien auf die Decarbonisierung der Welt ein: Mit massiven Staatsfonds, neuen Regulierungen und konzertierter Technologie-Außenpolitik. Das sehe ich in Europa noch etwas Nachholbedarf – und wir machen in Zukunft auch zusammen nur noch 4 Prozent der Weltbevölkerung aus...

Die Digitale und Soziale Transformation erreicht fast alle Lebensbereiche. Welche Trends sind mittelfristig in diesem Forschungsbereich zu erkennen?

Der wesentliche Trend für Europa und deren Politiken und Geschäftsmodelle ist zunächst genau das „und“. Während im Valley ohne große Legitimationsfragen am technisch und datenseitig machbaren gearbeitet wird, also an einer technologischen Lösungsideologie, haben wir in Europa eine stolz-machende Soziale Innovationslogik der Legitimitäten in hoch-diversen Politik-, Sprach- und Industrie-Kulturen. Die Trends lassen sich auf eine Formel bringen: Legitimierte Marktmodelle von Non-Markets: Gesundheit, Bildung, Sicherheit, Wasser und Städte. Hier werden wir – vor allem im Ansatz der Sozialen Transformation – unsere jahrhundertealten Kompetenzen ausspielen können.

Soziale Innovationen werden künftig eine Rolle spielen. Wie definiert sich dieser Begriff, wie und wo werden diese stattfinden?

Die Technologie erzeugt Euphorie, Ängste, Krisen – und ist daher vor allem immer eines: beeindruckend! Dass wir uns beeindrucken lassen, erklärt den sogenannten „cultural lag“, eine kulturell bedingte Phasenverschiebung. Kurz: Eine mitunter beeindruckend lange Verzögerung, um von Erkenntnis auf Reaktion umzustellen. Lustige Anekdote aus den Geschichtsbüchern der Innovationsforschung: Der Reißverschluss brauchte von der Erfindung bis zum Einsatz rasante 32 Jahre. Etwas länger als Verbrennungsmotor mit 26 Jahren.

William Ogburn, ein US-amerikanischer Soziologe, hat – weitgehend unbemerkt – in den 1930er Jahren auf die Notwendigkeit von Sozialen Innovationen hingewiesen: also kulturell-politisch-unternehmerisch ermöglichte Beschleunigungen auf Technologien und Krisen zu reagieren. Konkret: wer heute smogfreie Städte, herkunftsunabhängige Bildungssysteme, generationsgerechte Altersvorsorgesysteme oder demographie-stabile Solidargemeinschaften bauen kann, der ist wohl „Export-Weltmeister 5.0“. Wir arbeiten in der Forschung und Beratung genau an diesen nächsten Produkt-Qualitäten auf Basis von Sozialen Innovationen.

Wie kann ihrer Meinung nach ein nachhaltiges innovatives Mobilitätskonzept aussehen, das gesellschaftlich wie auch rechtlich angenommen wird?

Auch so eine Frage, die ich meinen nächsten Doktorandinnen weiter reichen werde... Im Ernst: Die auto-gerechte Stadtentwicklung war ungerecht der Stadt gegenüber. Die UN-Konferenz HABITAT III, die letztes Herbst nach 20 Jahren wieder zusammen kam, sowie die Initiative der 40 emissionsstärksten Welt-Metropolen zeigen den Weg sehr eindeutig auf: Wir brauchen klügeren Individualverkehr wie Logistik: verkehrsträgerübergreifend, elektrifziert aus regenerativen Energien mit höherer Auslastung durch autonome Flotten. 

Das Ergebnis: weniger Besitz, weniger Platzbedarf, weniger Emission, weniger Kosten und deutlich mehr Fahrräder für urbane Verkehre und Logistiken sowie angenehmerem öffentlicher Nahverkehr. Die OberbürgermeisterInnen träumen von ihren Wiederwahlen in ihrer sauberen und leereren Stadt. Und die Bürger wischen weniger Staub. Autonomes Fahren wird in der Tat die angesprochene soziale Innovationsfähigkeit im Recht im Zusammenspiel mit Versicherungen, Autoherstellern, Daten-Dienstleistern, Gewerkschaften und Lobby-Verbände herausfordern – und die individual-psychologische Akzeptanz.

Die Digitale Transformation verändert die Struktur, die Organisation aber auch Prozesse in einem Unternehmen. Wie wird die strategische Unternehmensorganisation der Zukunft aussehen?

Das ist zur Abwechslung mal einfach beantwortet und schwer umzusetzen: Wir kommen in eine organisationale Ambidextrie: Also die Beidhändigkeit in dem Schreiben der weiteren Biographie: die Gleichzeitigkeit der zuverlässigen Bürokratie (Produktivität und Präzision) und der zuverlässigen Überraschung (Agilität und Kreativität).

Aber nochmals: die Ethik dieser Organisation und der neuen Arbeit ist eine Neu- und Wiedererfindung dessen, was wir mal Bildung nannten. 

Zur Person:

Prof. Dr. Stephan A. Jansen ist Co-Gründer der Sozietät für Digitale und Soziale Transformation „Das 18te Kamel & Komplizen GmbH“ und Professor für Management, Innovation und Finance an der Karlshochschule Karlsruhe sowie Leiter des dortigen „Center Philanthropy and Civil Society“ (PhiCS); zahlreiche Mandate als wissenschaftlicher Berater von deutschen Bundesministerien und dem Bundeskanzleramt sowie Beirat von Stiftungen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen. Jansen ist Autor von über 200 Artikeln und über 20 Büchern sowie Autor des Wirtschaftsmagazins brand eins.

Über die nextM:

Die Zukunftskonferenz nextM will einen Ausblick in die großen Ideen der Welt von Übermorgen geben, in der Mensch und Maschine immer stärker verschmelzen und interagieren. Sie erlaubt einen Blick in die zukünftige Hypervernetzung von digitaler und analoger Welt. Sieben international anerkannte Ideenführer aus Wissenschaft, Forschung und Praxis geben Einblicke in die neuesten Erkenntnisse aus der Zukunftsforschung.

Es geht um Künstliche Intelligenz, Robotik, Digital Manufacturing, Big Data und das Internet der Dinge. Der Initiator GroupM will für neues Denken begeistern, Austausch entfachen und Exposition gegenüber Konzepten, ursprünglichem Denken und unerwarteten Veränderungsagenden liefern. NextM findet am 23. März 2017 in der Aula der Wissenschaften in Wien statt.

 

Das ganze Interview erschien in der HORIZONT-Printausgabe vom 10. März 2017. Und online hier

Prof. Dr. Stephan A. Jansen

Autoreninfo

Leiter des Center for Philanthropy & Civil Society (PhiCS) und Professor für Management, Innovation & Finanzierung an der Karlshochschule, Karlsruhe. Sein Standardwerk zu „Mergers & Acquisitions“ ist gerade in 6. Auflage bei Springer Gabler erschienen.